Eine warme, selbstsichere Stimme, die spannend, unterhaltsam und vor allem ehrlich erzählt – so erlebe ich Johanna Weber im Telefongespräch. Kennengelernt haben wir uns über mehrere Ecken bei LinkedIn. Johannas Werdegang klang so erstaunlich, dass ich zum einen neugierig war, wie es dazu kam und zum anderen natürlich an den TOPF&DECKEL Blog dachte, mit dem wir unsere Leser.innen über aktuelle und interessante Themen aus der Berufswelt informieren möchten.
Johanna ist ganz unkompliziert einverstanden, ein Telefoninterview zu führen. Seit 2021 arbeitet sie in einer Münchner Senioreneinrichtung als Betreuungsassistenz, in einigen Einrichtungen heißt die Jobbeschreibung auch Alltagshelferin, in manchen ist es die heiminterne Tagesbetreuung. Davor war sie 11 Jahre bei der Munich Re, zuerst als Pressesprecherin, dann als Leiterin Media Relations. Auch bei Allianz und Ergo war sie in ihrem früheren Berufsleben Pressesprecherin. Meine erste Frage lautet daher:
TOPF&DECKEL:
Woher kommt die große Liebe zur PR?
Johanna Weber:
Ich habe Publizistik studiert, an der Uni Mainz. Nach dem Studium und der Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bin ich als Pressereferentin bei der ERGO eingestiegen. Im Gegensatz zu dem, was man so landläufig über Versicherungen denkt, war die Arbeit alles andere als grau und langweilig. Die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren erfahrene Profis, produkttechnisch oder unternehmensseitig gab es immer aufregende Phasen. Weil ich schon so im Thema Versicherung drin war, war der nächstgrößere Versicherer folgerichtig. Und nach ausreichender Berufserfahrung auch die Teamleitung bei der Munich Re. Ich habe meinen Job sehr intensiv und sehr gerne gemacht, war 24/7 erreichbar, das gehörte einfach dazu.
TOPF&DECKEL:
Das klingt so, als ob Dir Dein Job immer Spaß gemacht hat! Und dann kam der Burn out?
Johanna Weber:
Nein. Das denken viele. Es war eher die Routine. Nach fast zehn Jahren auf der leitenden Position, habe ich gemerkt: Es fängt an mich zu langweilen. Wieder eine Finanzkrise, die x. Übernahme, das war alles schon mal da. Da war viel Routine, die Sicherheit gibt, aber eben auch allmählich Langeweile. Ich habe dann darüber nachgedacht, noch einmal den Job zu wechseln, mit Anfang 50. Das wäre dann zwei bis drei Jahre mit Sicherheit wieder spannend und aufregend gewesen, aber dann hätte sich eben doch wieder die Routine eingeschlichen.
TOPF&DECKEL:
Dieses Gefühl des Sich-Wiederholens und der Routine kennt mit Sicherheit jede:r. Aber ich vermute, die wenigsten würden dann den Schritt wagen, die Business-Welt so komplett hinter sich zu lassen wie Du. Wie kam es zu der Entscheidung?
Johanna Weber:
Für mich war klar: Wenn ich nochmal was ändern will, dann jetzt. Und die Demenzerkrankung meiner Mutter hat mit Sicherheit dazu beigetragen, neu und in die Richtung Seniorenbetreuung zu denken. Ich habe mich mit einem Coach zusammengesetzt und wir haben gemeinsam versucht herauszufinden, was ich eigentlich will. Das kann ich nur empfehlen, für mich hat das die Entscheidungsfindung deutlich strukturiert. Am Ende kam heraus, dass mich alte Menschen sehr berühren.
TOPF&DECKEL:
Wie macht man dann den Schritt von der Führungskraft zur Betreuungsassistenz?
Johanna Weber:
Erstmal gar nicht. Ich habe gekündigt und habe anderthalb Jahre lang das Leben genossen. Ich habe einige Reisen gemacht und habe mich einfach treiben lassen. Ohne ständig erreichbar zu sein und auf das Handy zu gucken. Das war eine sehr relaxte Zeit, in der ich nichts vermisst habe. Für mich war dieser Teil meines Arbeitslebens zu Ende erzählt. Mein inneres Bedürfnis nach Anerkennung über eine Karriere war erfüllt. Das war mir mal wichtig, aber nun erledigt.
TOPF&DECKEL:
Wie hat Dein Umfeld auf Deine Entscheidung reagiert?
Johanna Weber:
Verwirrt. Neutral verwirrt. Mein Chef war verwirrt, dass ich kündigte ohne einen neuen Job zu haben. Einige waren überrascht, dass ich mit alten Menschen arbeiten möchte, weil sie dieses Interesse an mir nicht kannten. Verständlich, schließlich habe ich auch länger für diese Erkenntnis gebraucht.
TOPF&DECKEL:
Ich stelle mir das schwierig vor, in die Seniorenbetreuung einzusteigen ohne fachspezifische Ausbildung. Oder ist das dank des Fachkräfte-Mangels kein Problem?
Johanna Weber:
Doch, das ist nicht einfach. Meine erste Idee war, gesetzliche Betreuerin zu werden. Die Vorstellung mindestens 40 Personen betreuen zu müssen, um davon leben zu können und für so viele Menschen Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben unmittelbar beeinflussen, hat mich aber abgeschreckt. Trotzdem bin ich bis heute ehrenamtlich gesetzliche Betreuerin für eine alte Dame, die seit langem psychisch krank ist und auch wohnungslos war.
Ich habe dann versucht, strategisch vorzugehen, denn mein Lebenslauf war ein Killer. Mein Gedanke war, mich zunächst bei einem mobilen Betreuungsdienst zu bewerben und da bin ich auch gelandet – bei einem Anbieter, der Menschen unterstützt, die noch zu Hause leben können. Die Ausbildung dauerte 3 Nachmittage und dann ging’s los. Die Kund:innen waren sehr nett, aber die Arbeitsbedingungen waren nicht sehr befriedigend für mich. Vor allem hat mir die Arbeit in einem Team gefehlt. Im mobilen Dienst ist man immer alleine unterwegs und kann sich nur selten mit Kolleg:innen austauschen. Ich habe dann ein Jahr dort gearbeitet, mich gleichzeitig privat nach § 43b, 53b SGB XI für die Arbeit als Alltagsbetreuerin qualifiziert und bei einem renommierten Münchner Seniorenheim beworben. Dort wurde ich nach einem Praktikum übernommen und arbeite seit 2021 in Teilzeit als Betreuungsassistentin.
TOPF&DECKEL:
Die Pflege gehört ja nach wie vor zum Niedriglohn-Sektor und viele Angestellte können sich ein Leben in München gar nicht oder nur schwer leisten. Wie kommst Du zurecht?
Johanna Weber:
Betreuungsassistenz fällt meist unter den Pflegemindestlohn von 13,90 EUR die Stunde. Deswegen haben viele in diesem Bereich auch mehrere Jobs, anders kommen sie häufig nicht über die Runden. Das Thema Altersarmut steht, insbesondere bei den Frauen, immer im Raum. Ich habe durch meine vorherige Arbeit ein besseres Polster für mein Alter. Es macht mich ziemlich traurig und wütend, wenn ich diesen Aspekt sehe.
TOPF&DECKEL:
Wie ist das für Dich: Du hast als Führungskraft gearbeitet und bist jetzt Teil eines Teams. Vermisst Du Deine frühere Aufgabe?
Johanna Weber:
Gar nicht. Ich genieße es, keine Verantwortung zu haben. Manchmal gibt es Diskussionen im Team, da frage ich mich noch, wie hätte ich als Führungskraft reagiert. Aber das ist nicht mehr meine Aufgabe. Ich bin einfach froh über den Austausch auf Augenhöhe mit meinen Kolleg:innen und meiner Chefin.
TOPF&DECKEL:
Du arbeitest jeden Tag mit Menschen, die immer mehr Kompetenzen verlieren und schließlich sterben. Wie gehst Du damit um?
Johanna Weber:
Das Thema Tod ist jetzt viel präsenter in meinem Leben. Es hilft mir sehr, in einem Team zu arbeiten. Wir sind zu acht, alle bringen unterschiedliche Kompetenzen mit, wir tauschen uns untereinander aus und ich kann viel von meinen Kolleg:innen lernen. Der Job kann emotional sehr fordernd und manchmal überfordernd sein, gerade bei hochgradig an Demenz erkrankten Bewohner:innen. Meine Chefin ist eine große Hilfe, sie hat einen sehr umfangreichen Erfahrungsschatz. Und wir bekommen sowohl Inhouse-Fortbildungen als auch außer Haus.
TOPF&DECKEL:
Ist Deine Entscheidung fix für den Rest Deines Berufslebens oder kannst Du Dir vorstellen, in Deinen alten Beruf zurück zu kehren?
Johanna Weber:
Nein, ich möchte nie wieder zurück. PR ist einfach nicht mehr das, was ich machen möchte. Wenn ich Geschichten von meinem Ex-Chef oder Kolleg:innen höre, verfolge ich das interessiert, aber meine Herzensangelegenheit ist es nicht mehr. Ich möchte bis zur Rente etwas mit alten Menschen machen. Ob das immer genau die gleiche Tätigkeit sein wird, weiß ich nicht, denn die Arbeit ist auch körperlich anstrengend. Aber für die nächsten fünf Jahre möchte ich das tun, was ich jetzt mache.
TOPF&DECKEL:
Herzlichen Dank, Johanna, für das tolle Gespräch und dass Du die Einsichten in Deine Berufs- und Lebensentscheidung mit uns geteilt hat!
Das Interview führte Ninja von TOPF&DECKEL.